Hör‘ bitte auf zu bloggen!
Der allgegenwärtige Hass der mittlerweile völlig entrückten Internetkultur, in der die (A-)Sozialen Medien von hunderten von Nutzern dazu missbraucht werden mit dem Finger auf andere zu zeigen, sie abzuwerten und zu verurteilen wird immer größer und gesellschaftsfähiger. Die Hemmschwelle dahinter immer geringer. Durch schrumpfendes soziales Engagement und stetigem Wachstum von Egoismus verkommt der Einzelne, der Sensible, der Angreifbare. Was Berühmtheiten vor zwanzig Jahren an Klatsch und Tratsch in der Boulevardpresse ertragen mussten, kommt heute in Form von Millionen ungefragter Meinungen von Hinz und Kunz noch oben drauf. 🤐
Ich habe diesen Blogartikel schon einige Wochen im Kopf, vor mir hergeschoben, umgewandelt und kritisch hinterfragt. Ich zähle mich zu hundert Prozent zu den sensiblen Menschen, zu denen, die sich schon bei etwas zu schiefen Blicken unwohl fühlen. Harmonie ist mir oftmals wichtiger als das Vertreten meiner eigenen Meinung und Gefühle. Und doch bekomme ich es bei Bloggerkolleg*innen, bei Freund*innen und bei teilweise mir völlig unbekannten Leuten im World Wide Web täglich mit: Auch Menschen mit dickem Fell leiden unter persönlichen Angriffen im Netz.
Deshalb präsentiere ich euch heute in humoristischer Weise meine vier blödsten und verletzendsten Reaktionen und Kommentare, die ich innerhalb der letzten Jahre so abbekommen habe. Quasi meine private Sammlung an Kopfschüttelmomenten, die mich nicht nur am EQ mancher Zeitgenossen zweifeln ließen, sondern die mich ganz offensichtlich noch heute beschäftigen. Enjoy! 💩
1. „Hör bitte auf zu Bloggen!“
Stellt es euch bildlich vor: Ihr drückt den „Veröffentlichen“-Button auf einer neu erstellten Reise- und Lifestylepage zum allerersten Mal. Was für ein krasses Gefühl! Da ist es nun, euer frisch geschlüpftes Blog-Baby und ihr präsentiert es überglücklich der gesamten Welt!
Schon klar, es kann noch nicht allzu viel. Es hat noch keine besonderen Talente und noch kein wirkliches Gespür für die neuartige Community um sich herum. Und trotzdem seid ihr als (Website-)Erzeuger stolz wie Bolle auf den ersten getätigten Rülpser!
So in etwa habe ich mich letztes Jahr im April gefühlt, als ich meinen ersten geposteten Artikel in verschiedensten Bloggergruppen auf Facebook und Co. geteilt habe. Glückwünsche, spannende Ideen fürs weitere „Kennenlernen“, hilfreiche Kritikpunkte wenn’s mal schwierig wird…es war wirklich alles dabei! Und dann war da noch folgender Kommentar:
„Ganz ehrlich? Versuchs doch bitte gar nicht erst. Ich bin seit 15 Jahren im Bloggergeschäft und wir brauchen einfach kein weiteres Insta-Girly in unseren Kreisen. Meinst du nicht, das Internet hat im Grunde genommen mehr davon, wenn du dich weiter in knappen Bikinis an irgendwelchen Traumstränden ablichten lässt? Ein wirklich gut gemeinter Rat an dich: Hör bitte direkt wieder auf zu Bloggen. Steck deine Energie in Sinnvolleres. Auf Instagram aktiv sein und süße Kleidchen shoppen zum Beispiel.“
Bäm. Keine 10 Minuten alt und schon sieht jemand mein Blog-Baby nicht nur schief an, sondern fragt mich allen Ernstes, ob ich dieses „Ding“ denn wirklich auf diese Welt loslassen musste. Die Welt gehöre schließlich denen, die sich besser auskennen, wissen, wie der Hase läuft. Wieso sollte auch nur irgendjemand mein noch verschrumpeltes Etwas lieber ansehen wollen, wenn doch alteingesessene Adonisse seit mehr als 15 Jahren die Zügel der deutschsprachigen Bloggersphären in der Hand halten, stimmt’s? 👏
Befeuert und bejubelt wurde dieser Kommentar übrigens durch weitere „gut gemeinte“ Gedankenergüsse, die zum direkten Austritt aus der Gruppe meinerseits geführt haben. Und zu einem weiteren Blogbeitrag zwei Tage später. Mittlerweile kann mein Blog-Baby übrigens schon selbständig laufen, auch wenn es hier und da noch etwas schwankt. Mama hat dich trotzdem lieb, Schatz!
2. „Ekelhafte Schnorrerin!“
Kaum eine Sache macht mir an meinem Content-Creator-Dasein so viel Freude wie das Kooperieren und Vernetzen mit Gleichgesinnten. Meistens kontaktiere ich spannende Profile und Veranstalter dann, wenn ich schon richtig coole Ideen im Kopf habe, wie wir beide von einer Zusammenarbeit profitieren könnten.
So auch diesmal: Auf Instagram entdecke ich eine Fotografin, die aktuell vermehrt Paare vor ihrer Linse hat. Ich schreibe ihr eine Nachricht und stelle ihr meine Einfälle vor mit denen sie allerdings nicht einverstanden ist. Sie lehnt ab. Kein Problem für mich! Ich will ihr gerade noch alles Gute wünschen und mich für ihre Antwort bedanken, da ist ihr Profil plötzlich unauffindbar für mich.
Mich beschleicht ein ungutes Gefühl und ich greife intuitiv nach dem Handy meines Partners. Na sowas! Da ist ja ihr Account! Und ganz viele neue Storyelemente hat sie auch schon drin! Circa fünf Minuten lang regt sie sich nämlich bereits über mich auf, behauptet, dass ich mir ihre Leistungen erschnorren wollte, teilt Fetzen unseres Gesprächs (schwärzt allerdings ihre Antworten) und kann sich kaum noch beruhigen wegen meiner Dreistigkeit, überhaupt an eine Zusammenarbeit zu denken. Ich freue mich natürlich unheimlich, dass ich es trotz allem in ihre Instagram-Story geschafft habe. Vermutlich auch an den Küchentisch beim Abendessen.
„Thomas! Du wirst es nicht glauben! Heute hat mich so eine Instagrammerin angeschrieben und wollte gratis Fotos! Also…gratis hat sie nie gesagt, aber mein von mir vorgeschlagener Preis von gut 900 Euro für unsere Kooperation hat ihr nicht zugesagt.“
„Eine Frechheit sowas! Was hätte sie denn im Gegenzug für dich gemacht? Vielleicht einen kompletten Blogartikel in mehrtägiger Arbeit verfasst, spannende „Behind the Scene“-Videos mit Extra-Fotografen für dich gedreht und tolle Fotos auf allen gängigen Social Media-Plattformen geteilt? Vielleicht sogar überall Empfehlungen ausgesprochen?“
„Oh das weiß ich nicht, ich hab sie nämlich direkt blockiert und dann wutentbrannt all‘ meinen Followern von ihr erzählt!“
„Das hast du gut gemacht! Einfach unerhört diese Jugend heutzutage!“
3. „Ich find’ deine Fotos ja gut, aber…“
Aber. Vier Buchstaben, die ich mittlerweile wirklich aktiv versuche zu vermeiden wenn ich mich mit jemandem unterhalte. Kein mir bekanntes Wort kann einen vorangegangenen Satzteil so nichtig machen wie „aber“. Und trotzdem höre und lese ich ihn täglich.
„Ich find’ deine Fotos ja gut und würde dir eigentlich auch folgen…
…aber du bist zu dünn.“
…aber dein Lachen erinnert mich an die neue Ische meines Exfreundes.“
…aber wirklich besser als andere bist du ja eigentlich auch nicht.“
…aber dann sehe ich ja immer deine Fotos und werd’ neidisch.“
Findet ihr es nicht auch spannend, dass fremde Menschen anderen fremden Menschen auf Social Media nur ZU gerne ungefragt ihre teils boshaften Kommentare, getarnt als „Meinungen, die man ja wohl noch kund tun darf“, auftischen und dann verwundert sind, dass man auf sie REAGIERT?
Dabei ist es den Internetrambos übrigens völlig egal WIE man reagiert, die alleinige Reaktion auf ihre sinnbefreite Aktion ist schon falsch.
Sperrt man sie, ist man ein Feigling, schwach und kritikunfähig. Lässt man sie unkommentiert stehen, ist man abgehoben und desinteressiert. Reagiert man mit Freundlichkeit, ist man „fake, weil jeder mit Wut reagieren würde“. Reagiert man mit Wut, zeigt man „endlich sein wahres Ich“ und „bestätigt nur, was man eh schon von ihm vermutet hat“.
Das alles geschieht immer wieder unter dem Deckmantel von Fake-Accounts, die vermuten, sie befänden sich in einem rechtsfreien Raum, in dem sie tun und lassen können was sie wollen.
Das Internet mag die Anonymität bewahren, die Gefühle der Nutzer hinter den Bildschirmen sind jedoch echt. Seid euch darüber im Klaren, dass, wenn ihr den Laptop herunterklappt oder euer Smartphone zur Seite packt, eure Worte und Kommentare nicht ebenfalls mit abgeschaltet oder weggesteckt sind: Sie sind da, sie sind machtvoll, sie kommen beim Empfänger an und hinterlassen einen bleibenderen Eindruck als ihr es euch vielleicht während dem Tippen vorstellen konntet. Lasst es bleiben anderen ihr Päckchen unnötig zu erschweren. Wir sind alle Seelen mit Emotionen und Gefühlen. Was soll ich mit der Information anfangen, dass du mich auf früheren Fotos zu dünn fandest und mir deshalb nicht folgen wolltest? Wie soll ich auf deine Nachricht, dass ich doof bin weil ich dich an eine mir unbekannte Frau erinnere, reagieren? Was willst du damit bezwecken? Warum ist dir deine eigene Zeit nicht zu schade für derartigen Nonsense?
4. Hallo, I bims, deine Vergangenheit!
Ich bin weiterhin schonungslos ehrlich: Ich mag Teile meiner Vergangenheit nicht. Es gab Menschen, die mich unglücklich gemacht haben. Während meiner Schulzeit, in meiner Freizeit oder in ganz persönlichen Momenten. Deshalb verwundert und verwirrt es mich tief in mir drin immer wieder, dass genau diese Personen mir aktiv folgen.
Menschen ändern sich, das weiß ich. Und doch gibt es einige, die einfach nur still und leise mein Leben durch den Bildschirm betrachten. Die nicht auf meine Nachrichten reagieren, aber trotzdem immer alle Neuigkeiten von mir aufsaugen.
Ich erinnere mich daran, dass ich mal auf meiner privaten Facebook-Seite ein Interview geteilt habe, auf das ich unfassbar stolz war. Es war eines meiner ersten. Kurze Zeit später ploppt auf meinem iPhone die Info auf, dass jemand aus meiner Freundesliste meinen geteilten Beitrag kommentiert hat – wie aufregend!
Jemand aus meiner Schulzeit hat kommentarlos jemand weiteren von früher markiert. „So weit so gut“, denke ich mir.
Ich reagiere mit einem „Hallo! Voll cool von dir/euch zu hören, wie geht’s denn so?“ Guess what? Ich warte bis jetzt auf eine Antwort. War das Markieren des anderen lediglich ein Sich-Über-Mich-Lustig-Machen? Ist es als erwachsener Mensch mit Mitte/Ende 20 wirklich okay, dass man über mich aber nicht mit mir spricht?
Ein weiteres Beispiel: Ab und an teile ich in meiner Instagram-Story den Aufruf, dass ich mich über Nachrichten freuen würde, vor allem, wenn man mich persönlich kennt und sich lange nicht mehr gesehen oder ausgetauscht hat. Gesehen wird es von unglaublich vielen – auf ein freundliches Zuwinken warte ich in 99% der Fälle ebenfalls vergeblich. Ja, ich teile mein (Reise-)Leben öffentlich, aber ich bin trotzdem keine Statue, die man kommentarlos betrachten und bewerten darf.
Ich bin ein Mensch auf Social Media, der sich über wertschätzende soziale Interaktion jeglicher Art freut. Meldet euch doch einfach mal ihr Geister der Vergangenheit!
„Warum tust du dir das Ganze denn dann überhaupt noch an?“, fragt sich jetzt vielleicht der ein oder andere von euch. Zurecht wie ich finde.
Weil ich – und das ist zum Glück Fakt – auf eine blöde Reaktion 50 tolle erhalte! Die Communities auf Instagram, Facebook und Co. können wirklich unheimlich wertvoll sein, denn die Mehrheit der dort aktiven Menschen ist interessiert, freundlich, rücksichtsvoll und inspirierend! Ich habe so viele spannende Persönlichkeiten kennenlernen dürfen und bin unendlich dankbar für all’ die Möglichkeiten, die ich ohne dieses verrückte Internetgedöns niemals erhalten hätte. Auch wenn sich die vereinzelten negativen Momente an schlechten Tagen immer wieder mal gerne in den Vordergrund drängen: Die positiven Momente überwiegen.
Trotz allem sollte meines Erachtens die Nutzung Sozialer Medien viel kritischer betrachtet und genauer kontrolliert werden. Ich bin gespannt wie sich die Zukunft des World Wide Webs mit den vielen diskutierbaren Problemen wie der allgegenwärtigen Filterblase entwickeln wird. Und keine Sorge: Ich werde dran bleiben und mein Blog-Baby auch weiterhin liebevoll großziehen.
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